ISSN: 2332-0915
Charlier P, Cavard, Veneau, Gray, Chrétien, Hervé, Lorin de la Grandmaison G
Bisher wurde bei Autopsien üblicherweise das gesamte Gehirn untersucht und kann für ergänzende neuropathologische Untersuchungen komplett entnommen werden. Ist es legitim, eine Leiche ohne das Gehirn – dieses symbolische Organ – zu begraben, um die Neugier des Arztes zu befriedigen und/oder aus wissenschaftlichen Gründen? Tatsächlich ist das Gehirn ein Organ mit starker symbolischer Bedeutung. Um die Genauigkeit einer solchen postmortalen neuropathologischen Untersuchung des gesamten Gehirns einzuschätzen, wurde zwischen 2009 und 2011 in der Abteilung für Pathologie und Rechtsmedizin des Universitätsklinikums R. Poincaré (Paris-West, Frankreich) eine kurze Studie durchgeführt. Bei insgesamt 32 Gehirnen (= 13,4 %), die bei insgesamt 238 Autopsien erwachsener Personen entnommen wurden (in gutem Erhaltungszustand, ohne Exteriorisation der intrakraniellen Strukturen), und die von einem Neuropathologen vollständig analysiert wurden, änderte sich die am Ende der Autopsie gegebene endgültige Diagnose der Todesursache nicht. Die Todesumstände wurden jedoch in fast 62,5 % der Fälle (n = 20) geändert und/oder vervollständigt. Unsere Hypothese ist, dass die Obduktion des gesamten Gehirns wissenschaftlich legitim ist, jedoch nicht aus rein ethischer Sicht. Es können mehrere praktische Lösungen vorgeschlagen werden, um einem menschlichen Leichnam nicht eines seiner symbolträchtigsten Organe zu entziehen (ihre Wirksamkeit im Hinblick auf die Neuropathologie muss jedoch geprüft werden). Tatsächlich steht hinter diesem Fall der vollständigen Gehirnentnahme das Problem der Einbeziehung von Emotionen und kulturellen Vorstellungen, die wir über innere Organe haben; dieses globale Problem für alle Ärzte könnte ihre derzeitige Praxis ändern, wenn sie mit dem Tod ihrer Patienten konfrontiert werden.